„Wenn ich den Eltern erkläre, dass dem Kind bewusst ist, dass es im Zusammenhang mit seiner Geburt etwas Wichtiges gibt, was ihm gesagt werden muss, sind sie sofort überzeugt“

Veröffentlicht: 3 November 2014|Aktualisiert: 6 Mai 2022|Über assistierte Reproduktion.|

Der Psychiater und Psychoanalytiker Serge Tisseron, der an der Feier zum 15-jährigen Jubiläum von Eugin teilnahm, unterstreicht nachdrücklich, wie wichtig es ist, Kinder, die durch assistierte Reproduktion zur Welt kommen, über ihre Entstehung aufzuklären.

Seit er im Alter von drei Jahren anfing, die Abenteuer von Tim und Struppi zu verschlingen, ist das Interesse des französischen Psychiaters und Psychoanalytikers Serge Tisseron für Familiengeheimnisse ungebrochen. Bei seinem frühen Kontakt mit den Werken von Hergé überraschte es ihn sehr, dass die Zwillingsdetektive Dupont und Dupond (in der deutschen Ausgabe: Schulze und Schultze) verschiedene Nachnamen hatten. 1985, dreißig Jahre später, veröffentlichte er ein faszinierendes Buch, in dem er ein Familiengeheimnis als Schlüssel zur von dem belgischen Comiczeichner erschaffenen Welt enthüllte.

Spätere Nachforschungen bestätigten seine These über ein Familientrauma, das Hergé nicht losließ. Heute beschäftigt sich eines der Hauptarbeitsgebiete von Serge Tisseron mit der Kommunikation zwischen Eltern, die auf Techniken der assistierten Reproduktion zurückgegriffen haben, und ihren Kindern.

Bei der Feier zum 15. Jubiläum von Eugin am 3. Oktober sprach Tisseron über die möglichen Folgen, die es seiner Meinung nach haben kann, Kindern, die mithilfe assistierter Reproduktion zur Welt gekommen sind, die Geschichte ihrer Entstehung zu verheimlichen. „Das Kind spürt jederzeit, dass ihm etwas verheimlicht wird, und beginnt zu glauben, dass es sich dabei um etwas Schmerzhaftes im Zusammenhang mit seiner Geburt handelt. Es kann natürlich aufhören, nachzufragen, doch diese Fragen sind für ein Kind so wichtig, dass es sich am Ende gar nicht mehr trauen wird, überhaupt Fragen zu irgendeinem Thema zu stellen.“

Wenn die Eltern auf unvermeidliche Fragen wie „Mama, woher kommen die Kinder?“ oder „Papa, wie bin ich eigentlich auf die Welt gekommen?“ unbehaglich und ausweichend reagieren, dann „wächst der oder die Kleine in einem familiären Umfeld auf, in dem er sich stets fragen wird, welche Fragen er stellen kann und welche nicht“, so Tisseron. Der renommierte Forscher ist der Ansicht, dass eine solche Situation „der Kommunikation innerhalb der Familie schadet und das Kind unsicher macht“.

Die Schwierigkeiten, die viele Eltern dabei haben, dieses wichtige Thema mit ihren Kindern zu besprechen, hat Tisserons Erfahrung nach mit zweierlei Gründen zu tun. Zum einen ist es für viele Menschen schmerzhaft, sich an die Achterbahn nicht unbedingt immer nur positiver Gefühle, die sie während der Behandlung durchlebt haben, zu erinnern. Der zweite Grund hat mit den Spannungen zu tun, die es erzeugen kann, den eigenen Eltern zu erklären, wie ihr Enkel gezeugt wurde. „Viele Eltern erzählen mir, dass sie bereit sind, ihrem Kind zu erklären, dass es durch assistierte Reproduktion zur Welt gekommen ist, aber Angst davor haben, dass das Kind wiederum es den Großeltern verrät. Häufig werden dafür Gründe wie „Meine Mutter würde nie verkraften, dass ich unfruchtbar bin“ oder „Meinen Vater würde es sehr schmerzen, dass der Familienstammbaum unterbrochen wurde“ angeführt“, erklärt Serge Tisseron.

Ängste überwinden

Was würden Sie also Eltern raten, die Hemmungen haben, dieses Thema mit ihrem Kind zu besprechen? „Wenn ich den Eltern erkläre, dass dem Kind vollkommen klar ist, dass es da etwas Wichtiges im Zusammenhang mit seiner Geburt gibt, was es erfahren sollte, dann sind sie in der Regel sofort überzeugt. Die Eltern müssen es zunächst ihrem Kind erzählen und später wird ein geeigneter Moment kommen, um auch mit den Großeltern darüber zu sprechen.“

Wie und wann man dieses Gespräch führen sollte, bereitet vielen Eltern, die sich zu einem offenen Umgang mit dem Thema assistierte Reproduktion entschlossen haben, Kopfzerbrechen. Tisseron empfiehlt, vor dem Kind darüber zu sprechen, wenn es noch ein wenige Monate altes Baby ist und das Gesagte noch nicht verstehen kann. „Das ist wie eine Probe für ein Theaterstück. Das Baby ist dabei anwesend, ist aber noch kein Zuschauer, der in der Lage ist, das Stück wirklich zu verstehen, so dass die Eltern die Aufführung so oft vor ihm wiederholen können, wie nötig. Wenn das Kind dann irgendwann anfängt, Fragen zu stellen, sind Mutter oder Vater (oder auch beide gemeinsam) in der Lage, problemlos darauf zu antworten.“

Kindgerechte Sprache

Wenn das Kind im Alter von 4 oder 5 Jahren auf ganz natürliche Art und Weise Fragen zu seiner Entstehung stellt, empfiehlt Tisseron den Eltern, konkrete, leicht verständliche Antworten zu geben, sich körperlich auf die Höhe des Kindes zu begeben und das Gesagte mit Visualisierungen und Gesten zu unterstützen. „Alles auf einmal erklären zu wollen, bringt nichts. Wenn das Kind wissen möchte, wie es zur Welt gekommen ist, hilft es ihm nicht weiter, wenn die Eltern ihm erklären, dass sie keine Kinder bekommen konnten, dann zum Arzt gegangen sind, noch einmal zum Arzt gegangen sind, ins Krankenhaus gegangen sind… Man sollte sich lieber auf das Wesentliche beschränken.“

Um Eltern dabei zu helfen, das erste wichtigen Gespräch mit ihren Kindern gut zu meistern, veröffentliche Serge Tisseron eine illustrierte Fabel mit dem Titel Das Geheimnis der Babysamen.

Um künftigen Müttern bei diesem Prozess unter die Arme zu greifen, bietet die Klinik Eugin ihren Patientinnen dieses Buch an, was bisher auf hervorragende Resonanz gestoßen ist. Das Buch ist sehr gut geschrieben und erklärt in kindgerechter Sprache die verschiedenen Zeugungsarten.

Laura Venereo, die Psychologin von Eugin, wiederum ist der Meinung, dass „die Entscheidung, es dem Kind zu erklären, einzig und allein Sache der Eltern ist. In diesem Fall ist es wichtig, die Informationen an die Fragen, die das Kind stellt, anzupassen“. „Das Ziel besteht darin, dass es sich selbst seine eigene Geschichte konstruiert. Wenn die Eltern sich dazu entschließen, dem Kind von seiner Entstehung zu erzählen, sind Bücher dieser Art eine gute Unterstützung, damit der oder die Kleine die Erklärungen rund um seine Zeugung besser versteht und ganz natürlich damit umgehen kann“, so Venereo.

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