Die Befruchtung ist der Vorgang, bei dem sich zwei Keimzellen, eine Eizelle und ein Spermium, vereinigen, um eine so genannte Zygote zu erzeugen. Eine Zygote ist ein Embryo in seinem ersten Entwicklungsstadium unmittelbar nach der Befruchtung.
Dieser Prozess wird oft als Wettlauf zwischen den Spermien in Richtung der Eizelle beschrieben und Dauer der Spermien in der Eizelle. Die Realität ist allerdings komplexer. In Wahrheit handelt es sich um eine Synergie zwischen der männlichen und der weiblichen Keimzelle, spermien den weg zur eizelle erleichtern und bei der mehrere Prozesse und Reaktionen synchron ablaufen müssen, damit ein Embryo entsteht, der sich weiterentwickeln und eine Schwangerschaft hervorbringen kann.
Wie erreichen die Spermien die Eizelle?
Nach der Ejakulation müssen die Spermien den aus Vagina, Gebärmutterhals und Gebärmutter bestehenden weiblichen Fortpflanzungstrakt durchqueren, um in den Eileiter zu gelangen. Auf diesem Weg gibt es mehrere Hindernisse: den vaginalen pH-Wert, den Zervixschleim, den engen Durchgang zwischen Gebärmutter und Eileiter oder die Reaktion des Immunsystems. Der pH-Wert in der Vagina ist niedriger als der Wert, welcher für Spermien ideal wäre. Die Vagina gilt daher als eine Umgebung, in der nur die stärksten Spermien überleben können. Dieses saure Milieu ist jedoch notwendig, damit sich die Spermien in ihrer Membran und ihrer Enzymstruktur biochemisch verändern können. Hierdurch werden sie beweglicher, bekommen einen schnelleren Stoffwechsel und erlangen die Fähigkeit, die schwer durchlässige äußere Proteinschicht der Eizelle, die so genannte Zona pellucida, zu durchdringen.
Die Eizelle ihrerseits beginnt ihre Reise mit dem Eisprung: wenn das Hormon LH 14 Tage nach Beginn des Menstruationszyklus seinen Höchststand erreicht hat, wird sie aus dem Follikel freigesetzt und springt vom Eierstock in den Eileiter. Hier wartet sie nicht passiv auf die Spermien, sondern bewegt sich entlang des Eileiters in Richtung Gebärmutter. Dabei sondert sie so genannte Chemoattraktoren ab, chemische Moleküle, die die Spermien anlocken und sie aktiv zu ihr hinführen. Das wichtigste dieser Moleküle ist das Hormon Progesteron. Möglicherweise gibt es auch andere Moleküle, die die Anziehung fördern.
Wie gelangen die Spermien zur Eizelle? Eine neue Studie gibt Aufschluss
Eine Studie der Universität Stockholm https://doi.org/10.1098/rspb.2020.0805 hat gezeigt, dass nicht alle Spermien in gleicher Weise auf die Signale der Eizelle reagieren. Einige Spermien erreichen die Eizelle offenbar eher als die anderen. Allerdings sind die Faktoren, die diese Unterschiede bestimmen, noch nicht bekannt.
Wenn das Spermium und die Eizellen zusammentreffen, findet die Befruchtung statt, bei der die Spermien die Zona pellucida (sozusagen die Hülle der Eizelle) durchdringen, wobei ihre Membran mit der der Eizelle verschmilzt. Durch die Verschmelzung der Membranen von Spermium und Eizelle dringen SOAF (Spermborne Oocyte Activating Factors) in die Eizelle ein, die der Eizelle durch Modulation der Kalziumionenkonzentration mitteilen, dass sie befruchtet wurde.
Dieses Signal löst eine Reihe von Ereignissen aus, die in die Entwicklung eines neuen Embryos münden. Die Eizelle schließt die meiotische Teilung ab (die letzte Phase ihrer Reifung), und die Zona pellucida verhärtet sich, um das Eindringen eines weiteren Spermiums zu verhindern und so die richtige Anzahl an Chromosomen zu gewährleisten.
Die Befruchtung findet im Eileiter statt. Hier beginnt die Zygote ihre Entwicklung durch Vermehrung ihrer Zellen nach einer fortschreitenden Zellteilung, während sie sich gleichzeitig im Eileiter in Richtung Gebärmutter bewegt, die sie etwa 5 Tage nach der Befruchtung erreicht.
Wird die Eizelle wirklich vom schnellsten Spermium befruchtet?
Das Spermium, das die Eizelle erfolgreich befruchtet, ist nicht unbedingt das schnellste. Ein Spermium braucht zwar eine gute Motilität (Schwimmfähigkeit), aber die Motilität allein reicht nicht aus, um eine korrekte Embryonalentwicklung zu gewährleisten. Die Vollständigkeit des Genoms, die Morphologie und weitere Merkmale tragen dazu bei, dass eine Eizelle erfolgreich befruchtet werden kann.
Forschungen an Tiermodellen deuten darauf hin, dass eine korrekte Speicherung der DNA im Spermienkopf die Ankunft und den Eintritt in die Eizelle erleichtert (DOI: 10.1111/j.1439-0272.2010.01074.x), und beim Menschen wurde beobachtet, dass eine hohe DNA-Fragmentierungsrate von Spermien mit niedrigeren Befruchtungsraten verbunden ist (doi:10.4183/aeb.2017.23) (doi: 10.1093/humrep/del326.).
Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die vom weiblichen Fortpflanzungssystem abgesonderten Östrogene den Spermien auf ihrem Weg in die Eileiter helfen. Diese Tatsache zeigt erneut, dass bei der Befruchtung die Synergie zwischen den beiden Hauptakteuren, der Eizelle und den Spermien, eine grundlegende Rolle spielt.
Der Vorgang der Befruchtung ist nicht immer korrekt beschrieben worden. Möglicherweise ist durch eine vereinfachende Erklärung der falsche Mythos vom “Wettlauf der tapferen Spermien zum Schatz” entstanden, der ein wenig dem Narrativ des Wettkampfes von tapferen und aktiven Männern um die Eroberung der passiven Frau ähnelt. Andererseits galt das Spermium lange als bloßer DNA-Lieferant. Heute wissen wir, dass sowohl die Eizelle als auch das Spermium grundlegende und miteinander verknüpfte Aufgaben haben. Es gibt keine passive oder aktive Rollenverteilung; in jedem Prozess müssen beide Akteure auf perfekt koordinierte Weise handeln, um das Ergebnis zu erreichen.
Artikel verfasst von Filippo Zambelli, Phd, Forscher des F&E-Teams der Eugin-Gruppe.